Im digitalen Zeitalter sind die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen der Maßstab, an dem sich Produkte und Dienstleistungen mehr denn je messen müssen. Ihr Erleben, die „Customer Experience“, ist ein entscheidender Qualitätsfaktor geworden. Und auch wenn sich häufig Marketing-Verantwortliche in Unternehmen mit der Verbesserung des Kundenerlebens auseinandersetzen, ist dies ein komplexes Thema, das nicht nur von einer Abteilung getragen werden kann.
Vor Kurzem erschien von TANNER das Whitepaper „Wie Digitalisierung die Qualität von Anleitungen verbessert“, das diesen Gedanken aufgreift. Es plädiert dafür, das Anwenderverhalten in der Technischen Dokumentation stärker zu berücksichtigen, um technische Informationen für Betrieb, Montage und Service bedarfsorientiert zu optimieren. Um mehr über die Anwender und ihren Umgang mit diesen Inhalten zu erfahren, könne die Technische Redaktion wiederum auf bewährte Marketing-Methoden zurückgreifen. Das Whitepaper veranschaulicht dies, indem es die klassische „Customer Journey“ zur „User Journey“ weiterentwickelt und auf ein konkretes Beispiel aus der Technischen Dokumentation überträgt.
Das hat mich an die Design-Thinking-Methode erinnert, die ursprünglich aus dem Produktdesign kommt, aber schon vielfach auf andere Branchen übertragen wurde. Könnte sie nicht auch in der Technischen Redaktion angewendet werden?
Design Thinking orientiert sich am Nutzer
Design Thinking ist eine Methode, bei der interdisziplinäre Teams in mehreren Schritten innovative Produkte entwickeln. Sie stellt in erster Linie die Nutzer und deren Bedürfnisse in den Vordergrund. Produkte werden also nicht an diesen „vorbeientwickelt“, sondern genau auf ihre Anwendungssituation und ihr Verhalten zugeschnitten. In der Industrie- und Technik-Branche schließt das Erleben eines Produkts auch das Erleben der technischen Informationen ein. Eine Dienstleistung, deren Ziel es ist, alle Anwender in die Lage zu versetzen, Produkte störungs- und fehlerfrei zu betreiben und zu warten, müsste demnach von solchen nutzerorientierten Ansätzen profitieren.
Phasen des Design-Thinking-Prozesses
Klassisch besteht der Design-Thinking-Prozess aus sechs iterativen Phasen vom Verstehen der Nutzer bis zum Optimieren des Produkts. Auf die Technische Redaktion übertragen könnten diese folgendermaßen aussehen.
Verstehen
Zunächst gilt es, die Dimensionen des „Problems“ zu identifizieren. Es werden daher die Anwendungssituationen und mögliche Fragen durchdacht. Das könnten zum Beispiel solche sein:
- Wer ist wann involviert?
- In welchen Arbeitsschritten benötigen Anwender technische Informationen?
- Welche Fragen entstehen in welchen Situationen?
- Welche Informationen werden wann benötigt?
- Was würde das Anwendererleben verbessern?
Beobachten
In dieser Phase wird Empathie zu den Anwendern aufgebaut. Indem sie bei der Nutzung von Informationen beobachtet (Verhalten messen) oder dazu befragt (Interview) werden, werden erste Erkenntnisse über ihre Bedürfnisse, ihr Verhalten und ihre Denkweisen gewonnen. Dank der Digitalisierung braucht es hierfür keine teure Feldbeobachtung mehr. Werden Informationen bereits digital bereitgestellt, können die Daten über deren Nutzung einbezogen werden. Auch Simulationen können wichtige Erkenntnisse liefern.
Anwendertypen definieren
Erkenntnisse aus den ersten zwei Phasen werden zusammengetragen und daraus Anwendertypen abgeleitet. Was einfach klingt, kann in der Technischen Redaktion komplex werden. Denn es gibt Anwender in unterschiedlichen Positionen mit vielfältigen Aufgaben (seien es Monteure, Inbetriebnahmeleiter oder Betriebspersonal). Diese wiederum unterscheiden sich in ihren Qualifikationen und Erfahrungen. Ist die Person in der Ausbildung, neu auf der Position oder besitzt sie langjährige Expertise? Das beeinflusst den Informationsbedarf ebenso wie die individuelle Suchstrategie und welche Informationsart gebraucht wird (Case Study, Schritt-für-Schritt-Anleitung, Analogien usw.).
Hypothesen bilden
In dieser Phase werden Hypothesen und Lösungsvorschläge zur Verwendung der technischen Informationen gebildet. Dies ist im klassischen Design-Thinking-Prozess die Phase der Ideenfindung, in der es besonders wichtig ist, dass Menschen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen zusammenkommen und Ideen aus ihrer jeweiligen Perspektive beisteuern. Die gesammelten Lösungen werden außerdem in einer Aufwand-Originalität-Matrix bewertet. Was sind schnell umsetzbare „Quick-Wins“? Was sind originelle, leicht umsetzbare Ideen? Was sind schwerer umsetzbare Lösungen für die Zukunft?
Prototypen bauen
Nun werden Lösungen so umgesetzt, dass sie für die Anwender erlebbar sind. Das kann beispielsweise in Form von Informationsprodukten mit dem Reifegrad eines Minimum Viable Products (MVP) geschehen. Diese sind nur mit dem Kernnutzen ausgestattet, die detaillierte Ausarbeitung (z. B. Format und Medien) erfolgt später. Auf diese Weise kann geprüft werden, ob die getroffenen Hypothesen stimmen und die Informationen für Anwender wirklich relevant sind, also genutzt werden. Auch kann in dieser Phase getestet werden, welche Information in welchem Format (Grafik, Text, Bewegtbild etc.), in welchem Medium (App, Webseite, Video, gedrucktes Handbuch, PDF etc.) und auf welchem Kanal (E-Mail, Soziale Medien, Hilfeseiten, Landingpage, Videoportale etc.) bereitgestellt werden.
Testen
Ob das umgesetzte Informationsangebot die Bedürfnisse der Anwender besser trifft oder ganz erfüllt, wird in dieser Phase getestet – und es wird gegebenenfalls optimiert. Dafür muss das Anwenderverhalten weiter gemessen und analysiert werden. Fragen, die sich nun stellen, könnten sein:
- Werden die bereitgestellten Informationen genutzt?
- Gibt es weitere oder neue Lücken im Informationsangebot?
- Werden die Informationen auf dem richtigen Kanal bereitgestellt?
Resultat: Optimale Informationsprodukte
Im Idealfall ist das Resultat aus so einem Design-Thinking-Prozess ein innovatives und – viel wichtiger – aus Anwendersicht überzeugendes Informationsprodukt. Während des Prozesses können verschiedene benutzerorientiere Analysemethoden wie die im Whitepaper beschriebene „User Journey“ zum Einsatz kommen.
Natürlich ist ein Prozess wie dieser nicht in fünf Minuten erledigt, dennoch kann es eine praktikable Lösung sein, um Anwender besser zu verstehen und damit deren „Customer Experience“ bei der Verwendung technischer Informationen entscheidend zu verbessern. In jedem Fall erscheint es mir lohnenswert, dafür über den Tellerrand zu anderen Branchen und deren bewährten Methoden zu schauen. Denn sicher ist, dass die Digital Natives erwarten, dass Informationen und deren Bereitstellung ihrer Technologiekompetenz entsprechen.
Lesen Sie mehr im Whitepaper
Wie Sie Marketing-Methoden nutzen, um das Anwenderverhalten zu analysieren und damit einen Grundstein für die Digitalisierung Ihrer Technischen Dokumentation legen.