Eine neue Norm – was bringt sie uns?!

Normen treiben die Professionalisierung einer Branche voran. In der Argumentation, warum etwas wichtig ist oder wie etwas beschaffen zu sein hat, führen sie weg von subjektiven Ansichten und – oft fruchtlosen – Diskussionen und dokumentieren einen anerkannten Stand der Technik. Auch die technische Dokumentation profitiert von der Normungsarbeit.

Normen regeln in der technischen Dokumentation unter anderem, welche Informationen zu einem Produkt vermittelt werden müssen, und wie sie gestaltet, strukturiert und formuliert werden. Der Fokus liegt dabei auf dem Informationsbedarf der Zielgruppe und auf der Erstellungssprache. In aller Regel werden die Inhalte anschließend übersetzt. Wie effizient sich ein Informationsprodukt übersetzen lässt, hängt nun ganz entscheidend davon ab, ob die Informationen von vornherein übersetzungsfreundlich erfasst wurden. Aber was bedeutet das konkret? Mit diesem Thema beschäftigt sich die brandneue Norm DIN 8579:2022-07 „Übersetzungsgerechtes Schreiben – Texterstellung und Textbewertung.

Mit 36 Seiten ist die Norm recht handlich. Wesentliche Themen sind:

  • Empfehlungen für zu übersetzende Fachtexte
    • Formatierung
    • Terminologie
    • Grammatik, Syntax, Stil
    • Darstellung von Inhalten
  • Anforderungen an die Schnittstelle zwischen Texterstellung und Übersetzung, u. a. auch Formate und Layout
  • Bewertung

Eine praxisnahe Norm mit vielen Beispielen

Hervorzuheben sind die zahlreichen konkreten Beispiele in der Norm und Hintergrundinformationen, z. B. dazu, was in Translation Memorys mit den Texten geschieht. Wenn beispielsweise im Deutschen der einführende Satz nach der Aufzählung weitergeführt wird, lässt sich das in vielen Fremdsprachen nicht segmentgleich nachbilden. Die Norm verdeutlicht den Sachverhalt mit folgendem Beispiel:

Quelle: DIN 8579, 4.2.2.3 (S. 13)

Hier ist einmal die Anzahl der Segmente unterschiedlich. Weiterhin ist die Übersetzung des ersten Segments nicht exakt, da im Englischen das Verb integriert wurde. Eine Lösung wäre gewesen, schon im Deutschen das Verb in den einführenden Text zu holen: „Während des Schreibens übersetzungsgerechter Ausgangstexte achten auf:“ oder mit direkter Anrede zu formulieren: „Achten Sie beim Schreiben übersetzungsgerechter Ausgangstexte auf:“.

Insbesondere die „Empfehlungen für zu übersetzende Fachtexte“ enthalten Regeln, die sich unmittelbar in der technischen Dokumentation umsetzen lassen. Typische Beispiele:

  • Verwendung von Bindestrichen, Punkten, Leerzeichen und Tabulatoren
  • Satzbau und Satzlänge
  • Passivformulierungen und Funktionsverben
  • Wortwahl und Wortbildung

Viele dieser Regeln sind der versierten Redaktion vertraut. Einige ermöglichen zumindest eine Auffrischung vorhandenen Wissens oder sensibilisieren dafür, dass und warum eine bestimmte Art zu schreiben und zu formulieren sinnvoll ist.

Hilfreich ist auch die Bewertungsmatrix am Ende der Norm, in der die verschiedenen Problemquellen zusammengefasst sind. Die Norm geht auch auf die Unterschiede ein zwischen Humanübersetzung und der Verwendung von CAT-Tools und zeigt auf, welche Aspekte sich durch Authoring Tools prüfen lassen.

Etwas schade ist, dass qualitative Aussagen der Norm stellenweise willkürlich scheinen. So sollen Sätze höchstens 25 Wörter lang sein. Oder zwischen auseinanderstehenden Verbteilen nicht mehr als 10 Wörter stehen. Worauf diese Zahlen basieren, ist nicht ersichtlich. Das schmälert aber nicht den hohen praktischen Nutzwert dieser Norm.

Die Norm ist zu beziehen beim Beuth-Verlag.