Digitalisierung schreitet in verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich voran. Asien und insbesondere China stellen ausländische Unternehmen, die dort agieren wollen, aufgrund ihrer völlig anderen Netzkultur vor ganz spezielle Herausforderungen. Tim Schlick kennt diese in- und auswendig. Seit 2010 lebt und arbeitet der Marketingstratege im asiatischen Raum. Am 14. April wird Tim Schlick beim „INKA“-Forum im Themenblock „Von lokal bis global. Was verbindet Malermeister Bode aus Langenhagen mit der chinesischen Industrie?“ spannende Einblicke in die Besonderheiten des chinesischen Marktes liefern. Einige Fragen hat er bereits vorab beantwortet. Auch Sie können Tim Schlick am 14. April beim „INKA-Forum“ mit Fragen löchern; wir freuen uns besonders, wenn Sie uns diese bereits im Vorfeld zusenden. Falls Sie noch nicht angemeldet sind: Hier haben Sie Gelegenheit dazu.

Herr Schlick, Sie leben seit sechs Jahren in Hongkong und Shanghai. Was hat Sie damals gereizt, nach China zu gehen?

Offen gestanden war das reine Neugier. Ich hatte zwar schon immer mal mit dem Gedanken gespielt, im Ausland zu arbeiten, dachte dabei aber eigentlich immer mehr an Orte wie Rom, Miami oder Barcelona. Die Möglichkeit, in Shanghai zu arbeiten, hat sich spontan ergeben und ich habe sie genauso spontan angenommen. Im Nachhinein eine der besten Entscheidungen meines Berufslebens – aber auch sicher die ungeplanteste.

„Ich glaube, es gibt kaum ein pragmatischeres Land als China. Das kann einen als deutschen Geschäftspartner genauso begeistern wie fassungslos machen.“

Was beeindruckt Sie am meisten an China und an den Chinesen? Oder ist eine solche Pauschalisierung aufgrund der Größe des Landes sowieso unmöglich?

Pauschale Antworten sind gerade in China genauso schwierig wie sie oft falsch sind – allein schon deshalb, weil die Regionen und ihre jeweiligen Dynamiken so unterschiedlich sind. Shanghai und eine „kleine“ Provinzstadt (die trotzdem gerne mal ein paar Millionen Einwohner haben kann) haben deutlich weniger gemein als beispielsweise Stockholm und Palermo. Was ich aber in ganz China sehe und bemerkenswert finde, ist nicht nur die Geschwindigkeit, in der Veränderung stattfindet, sondern vor allem in welcher Art und Weise. Ich glaube, es gibt kaum ein pragmatischeres Land als China. Das kann einen als deutschen Geschäftspartner genauso begeistern wie fassungslos machen.

Wer an das digitale China denkt, dem fallen häufig als erstes das Thema Zensur und deren Einfluss auf die Netzkultur ein. Das ist jedoch sicherlich nur ein Teil der „Wahrheit“. Was ist Ihrer Meinung nach darüber hinaus bemerkenswert?

Am faszinierendsten sind, glaube ich, in erster Linie zwei Dinge: Erstens die Tatsache, dass das digitale China gerade wegen der „Großen Firewall“ ein völliger Mikrokosmos ist – wenn auch ein absurd großer. Hier hat sich eine ganz eigene, sehr chinesische Dynamik mit ganz eigenen Produkten, Marken und Dienstleistungen entwickelt, jenseits der großen globalen Player. Ich glaube, es ist weltweit auf lange Sicht nicht das Schlechteste, dass es tatsächlich Gegengewichte zu Amazon, Google und Facebook gibt.

Zum zweiten finde ich mehr als bemerkenswert, dass chinesische Internetplayer, inklusive Start-Ups, deutlich bessere Geschäftsleute zu sein scheinen als ihre westlichen Gegenstücke. Während in Deutschland sogar ein Vorzeigeunternehmen wie Zalando zwar ständig Kunden gewinnt, aber noch nicht einen Euro verdient hat, stehen chinesische Internetunternehmen sehr oft sehr viel besser da. Auch digital gilt, dass der gesetzlich vielleicht engere Rahmen nicht heißen muss, kein gutes Geld machen zu können.

„Was sonst überall auf der Welt funktioniert, kann in China eine Katastrophe werden.“

Sie beraten deutsche Unternehmen, die den Eintritt in den chinesischen Markt planen. In welche Fallen stolpern diese in der Regel? Welche Herausforderungen warten gerade im Hinblick auf die Digitalisierung?

Die digitalen Fallen sind denen der Offline-Welt meist sehr ähnlich: China einfach als einen Markt wie jeden anderen zu betrachten und Patentrezepte anwenden zu wollen – und an denen auch dann noch festzuhalten, wenn sie ganz offensichtlich schon versagt haben. Was überall sonst auf der Welt funktioniert, kann in China eine Katastrophe werden.

Gleichzeitig bietet aber das digitale China Chancen, die kaum ein anderes Land der Welt bietet: Daten und Insights in einer Qualität und Vielseitigkeit, die wirkliche Wettbewerbsvorteile bringen können. Gerade weil es oft schwer ist, valide Marktinformationen zu bekommen, ist die Digitalisierung eine echte Chance für Unternehmen, ihr Engagement in China besser zu planen.

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich Ihrer Meinung nach das digitale China im Vergleich zum Rest der Welt entwickeln?

Das digitale China wächst derzeit so stark wie wohl kaum ein anderes Segment der Welt. Zum Beispiel hat Tencents WeiXin, das chinesische Whatsapp, im letzten Jahr einen Bezahlservice eingeführt. Obwohl der Service noch sehr jung ist, werden in diesem Jahr voraussichtlich etwa 500 Milliarden US-Dollar über ihn abgewickelt werden – doppelt so viel wie das gesamte Volumen der Paypal-Gruppe. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich Unternehmen mit solchem Erfolg entschließen, auch in Märkten wie Europa zu wachsen. Das ist das reine Wachstum.

Viel spannender finde ich aber die Frage, wie lange es noch dauert, bis europäische Verbraucher Geschmack an chinesischen Internetdiensten finden. Man sagt China ja gerne nach, nur abzukupfern statt innovativ zu sein – das stimmt so einfach nicht. Chinesische Firmen mögen sich vielleicht oft von westlichen Anbietern inspirieren lassen, sie verbessern meist aber auch um ein Vielfaches. Es ist wirklich erstaunlich, wie reibungslos, schnell und einfach Services in China funktionieren.

Ich glaube, dass wir uns langfristig deutlich mehr und besser an das digitale China anpassen werden als umgekehrt.

Vielen Dank für das Interview. Wir freuen uns auf Sie am 14. April in Bregenz, Herr Schlick!