Geringere Druckkosten, praktische Suchfunktionen, kontextabhängiger Zugriff auf weiterführende Inhalte, Aktualisierbarkeit, Informationstiefe je nach individuellen Erfordernissen – digitale Anleitungen haben viele Vorteile, sowohl für den Hersteller als auch für den Nutzer eines Produkts. Da liegt die Frage nahe: Warum sind wir nicht längst auf dem Absprung – weg vom Print, hin zur digitalen Anleitung?

Klar, „digital“ hat viele Facetten: Das kann eine Anleitung auf einem Speichermedium sein oder eine Online-Version. Bei der Online-Version ist sicher die Vielfalt an Endgeräten ein Thema: Funktioniert die Anleitung nicht nur auf dem PC, sondern auch auf dem Smartphone? Hinzu kommen die unterschiedlichen Formate: klassisches PDF oder HTML-Lösung? Alle Möglichkeiten differenziert zu beurteilen, sprengt den Rahmen dieses Blogs. Aber unabhängig davon stellt sich immer die Frage: Wie weit dürfen wir rechtlich eigentlich gehen?

Was „üblich“ ist, ist erlaubt: das Vertragsrecht

Vertragsrechtlich gilt: Der Hersteller kann mit dem Käufer die Form der Anleitung vereinbaren. Dieses Szenario ist allerdings nicht realistisch, wenn zum Beispiel zwischen Hersteller und Endverbraucher Zwischenhändler stehen. Gibt es keine vertragliche Vereinbarung, gilt, dass das Produkt laut BGB eine „Beschaffenheit aufweisen muss, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist“.

Dieser sperrige Satz sagt nichts weiter, als dass erlaubt ist, woran der potenzielle Käufer gewöhnt ist oder was andere bereits so machen. So erwartet beispielsweise kaum ein Anwender eine ausführliche gedruckte Anleitung, wenn er ein Handy kauft. Und auch der Hersteller einer Digitalkamera kann davon ausgehen, dass der Käufer voraussichtlich einen PC nutzen wird und daher eine Anleitung in elektronischer Form nutzen kann. Das Vertragsrecht lässt bei der Wahl des Mediums also durchaus Freiheiten.

Auslegungssache: das Produktsicherheitsrecht

Das Produktsicherheitsrecht, das beispielsweise in den CE-Richtlinien festgelegt ist, beschäftigt sich mit potenziell „gefährlichen“ Produkten und schützt neben den Vertragspartnern auch Dritte. Während die Maschinenrichtlinie keine Aussage zum Medium trifft, wird die Norm DIN EN ISO 12100 Sicherheit von Maschinen konkreter. Sie verlangt, dass mindestens sicherheitsrelevante Informationen zusätzlich in gedruckter Form geliefert werden müssen. Allerdings sind seit Veröffentlichung dieser Norm mittlerweile neun Jahre vergangen. Und die Diskussion über digitale Anleitungen ist in der Zwischenzeit weit fortgeschritten.

Formulierungen in anderen Richtlinien sind schwammig: So verlangen die 2014 neu herausgegebenen EMV– und Niederspannungs-Richtlinien lediglich eine „beigefügte“ Anleitung, ohne auf die Form einzugehen. Aber was „beigefügt“ bedeutet, ist Auslegungssache.

Fortschrittlich: Medizinprodukteverordnung & Maschinenbau-Norm

Am fortschrittlichsten ist die Medizinprodukteverordnung, die elektronische Anleitungen für bestimmte Produktgruppen eindeutig erlaubt. Voraussetzung ist die Beachtung bestimmter Vorgaben zu Prozess, Inhalt und Form, die eindeutig in der Verordnung festgelegt sind. Beispielsweise muss auf Verlangen innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine gedruckte Gebrauchsanweisung zur Verfügung gestellt werden können. Auch müssen die Risiken, die die digitale Bereitstellung mit sich bringt, in einer Risikobewertung dokumentiert werden.

Die neue Maschinenbau-Norm ISO 20607 (Safety of machinery – Instruction handbook – General drafting principles) erlaubt ebenfalls die digitale Informationsbereitstellung. Voraussetzung ist, dass auch die regionalen Gesetze dies erlauben und dass der Kunde damit einverstanden ist.

Somit wurde mit der Medizinprodukteverordnung und mit der neuen Maschinenbau-Norm ein Paradigmenwechsel niedergeschrieben, der sich in der Praxis noch etablieren muss.

Informationen ohne Hindernisse – normative Anforderungen

Die „Hausnorm“ des Technischen Redakteurs, die EN 82079-1, stellt prinzipiell alle Publikationsformen als gleichberechtigt nebeneinander. Sie gibt jedoch Kriterien für die Entscheidung vor. Kernforderung ist, dass das Medium den Anwenderbedürfnissen gerecht wird und dass die Gebrauchsinformationen während der gesamten Produktlebensdauer leicht zugänglich sind.

Drucken und wenn ja, was? Das ist hier die Frage

Wie so häufig öffnen uns rechtliche und normative Anforderungen einen Interpretationsspielraum, den es zu nutzen gilt. Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, den Paradigmenwechsel zur digitalen Anleitung mutig zu vollziehen. Nach sorgfältiger Abwägung der rechtlichen Situation können dann immer noch sicherheits- und haftungsrelevante Teilinformationen zusätzlich in gedruckter Form ergänzt werden.

Das könnte beispielsweise eine gedruckte Kurzanleitung mit Sicherheitshinweisen sein, die durch eine ausführliche digitale Variante ergänzt wird. Gemäß IEC 82079-1 muss eine derartige Kurzanleitung am Beginn einen Querverweis auf die ausführliche Anleitung enthalten. Dieser Querverweis muss gleichzeitig vor den Konsequenzen warnen, wenn die Sicherheitshinweise in der ausführlichen Anleitung nicht beachtet werden.

Gleichzeitig sollten im Rahmen einer Ausfallanalyse die Risiken ermittelt und dokumentiert werden, die sich aus dem Verzicht auf die Print-Vollversion ergeben. Der Entscheidungsprozess für die digitale Betriebsanleitung gehört sorgfältig dokumentiert.