Viele Hersteller aus der Industrie beschäftigt die Frage, ob sie Produktnutzern technische Informationen gedruckt oder online zur Verfügung stellen können, dürfen oder sogar sollten. Was der Gesetzgeber erlaubt, ist häufig unklar. Ebenso, was überhaupt möglich ist.

Bestens vertraut mit dieser Thematik ist Jörg Heide. Der studierte Maschinenbauer  und CE-Fachmann beschäftigt sich bei TANNER seit vielen Jahren mit dem Thema „Recht und Normen in der Technischen Dokumentation“. Im Kurzinterview steht er Rede und Antwort.

Herr Heide, wie schätzen Sie aktuell den Stellenwert digitaler Bereitstellung von technischen Informationen ein?

J. Heide: Meiner Erfahrung nach sind Kunden bei dem Thema noch sehr zurückhaltend. Digital kann ja viel bedeuten. Es besteht häufig große Unsicherheit darüber, ob technische Informationen digital bereitgestellt werden dürfen und wenn ja, welche überhaupt. Viele haben doch noch die Papierform vor Augen und denken in diesem Zusammenhang als Erstes – und manchmal ausschließlich – an PDF-Dateien. Digitale Medien sind aber viel mehr als das. Es kann sich dabei auch um Apps, Videos, 3D-Modelle und vieles mehr handeln. Den meisten ist gar nicht bewusst, was sie alles machen könnten.

Welche Empfehlung geben Sie Unternehmen, die stärker auf digitale technische Informationen setzen möchten?

J. Heide: Als sehr wichtige Grundlage dafür erachte ich eine detaillierte Zielgruppenanalyse. Da eine solche ohnehin bei der Risikobeurteilung vorgesehen ist, ist das auch keine Mehrarbeit. Allerdings kann man diese grundlegende Analyse noch weiter aufbohren. Dann denkt man schon einmal mit daran, wer in welcher Betriebsphase welche Informationen braucht und wie dabei die konkrete Arbeitssituation aussieht. Die Anwendungssituation in Verbindung mit der Person und ihrem Wissen macht letztlich eine gute Zielgruppenanalyse aus. Dann kann man das jeweils beste Medium für die Situation auswählen – und viel leichter bestimmen, welche Informationen zusätzlich zum digitalen Angebot gedruckt werden müssen.

Gibt es zum Thema „Digitale Anleitungen“ schon gerichtliche Urteile?

Die Gesetzgebung wird immer in der Rechtsprechung konkretisiert. Zu digitalen Anleitungen gibt es – Stand Februar 2020 – jedoch kaum gerichtliche Entscheidungen. Die meisten Urteile thematisieren Warnhinweise, die auf Verpackungen oder Produkten fehlen.

Dennoch tut sich im Moment sehr viel in diesem Bereich. Meiner Meinung nach muss die Industrie hier mit Mut vorangehen und einfach Vorreiterin werden, was digitale und mobile Medien anbelangt. Die neue Maschinenbaunorm ISO 20607 geht ja bereits einen ersten Schritt in die richtige Richtung, indem sie zum ersten Mal regelt, dass man Anleitungen auch elektronisch zur Verfügung stellen kann. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Hersteller ihre Entscheidung für bestimmte Medien sauber dokumentieren und gewissenhaft gegen die Ausfallrisiken abklopfen. Gegen Irrtümer ist dabei selbstverständlich niemand gefeit. Entscheidend ist aber, dass der Hersteller das Erfüllen seiner Sorgfaltspflicht in diesem Prozess nachweisen kann.

Vielen Dank, Herr Heide!

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Zur Digitalisierung in der Technischen Dokumentation wurden bereits zwei kostenlose Whitepaper für Fachleute in der Technik-Kommunikation veröffentlicht. Das erste beschäftigt sich eingehend damit, welche Rolle das Anwenderverhalten heute in der Technischen Dokumentation spielt. Zielgruppenanalyse und User Journey werden am Beispiel der Inbetriebnahme einer verfahrenstechnischen Anlage veranschaulicht.

Das zweite Whitepaper nähert sich dem Digitalisierungsthema unter dem Motto „Digital first“ aus Sicht geltender Richtlinien und Normen. Auch hier wird die Entstehung eines Informationsprodukts am Praxis-Beispiel erklärt, von der Analyse, über die Konzeption bis hin zur Vermeidung von Haftungsfällen.

Die Möglichkeit zum Download finden Sie auf der Themenseite zur Digitalisierung in der Technischen Dokumentation.